Blinde Eule: Hallo Frank, da sitzen wir uns nun doch wieder gegenüber zum nächsten Interview, zwar etwas später als geplant...was meinst du sollen wir beginnen? 

 

Frank: Schön dich zu sehen, ja komm lass uns...

 

Blinde Eule: In deinem Buch geht es auch um dein Leben und Vorleben, unter anderem um äußerst private, intime und prekäre Sachverhalte deiner Vergangenheit. 

Wenn ich das so richtig deute, dann verstehe ich das mehr als eine Art Bekenntnis und Eingestehen in Form einer Biografie, kann man das so sagen?

 

Frank: Ich wollte mir von vornherein nichts vormachen, du musst zu dem stehen und dich bekennen wie und was du gelebt hast.

Der Schatten der Vergangenheit gehört genauso zum Leben wie das Licht.

Noch vor 10 bis 15 Jahren wäre es für mich nicht möglich gewesen über bestimmte Lebensabschnitte zu schreiben. 

Noch bliebe genügend Zeit um Korrekturen vorzunehmen, um einzelne Tatsachen auszuradieren, aber was sollte sich dadurch ändern...die Menschen müssen mich so nehmen wie ich bin, mitsamt meinem Vorleben.

 

Blinde Eule: Wo steigt man ein, wie fängt man an...?

 

Frank: Da war ich eigentlich noch gar nicht da...aber meine Eltern schon, eine kurze Beschreibung ihrer Wurzeln und Herkunft.

 

Blinde Eule: Deine Kindheit, wie war sie und warst du eher ein Stubenhocker oder ein besserer Abenteurer? 

 

Frank: Im Großen und Ganzen war es eine glückliche Zeit. Nicht alles war aus Gold und Silber, es gab schwere, sehr schwere Tage und nicht alles wovon wir träumten ging in Erfüllung.

Wir waren nicht reich aber auch nicht arm, eine klassische Arbeiterfamilie eben halt mitten im Ruhrgebiet zwischen Kohle und Stahlindustrie.

Mein Vater ging während der Woche schwer malochen und am Wochenende fuhr er noch nebenher Taxi um für den gemeinsamen Urlaub zu sparen.

Und doch war der Sonntag unserer Familie vorbehalten mit Ausflügen meist mit dem Fahrrad, denn ein Auto hatten wir nicht. Das wäre für heutige Zeiten undenkbar.

Wir waren "Draußen-Kinder", wir bauten unterirdische Buden, hausten im Bauwagen auf einem alten Industriegelände in Rüttenscheid und spielten im Kohlendreck.

Wir streunten als Abenteurer durch Wälder des Essener Südens und kosteten die Tage unserer Kindheit in vollen Zügen aus. Das wir so sein konnten war und ist unser Glück von heute!

 

Blinde Eule: Hey, was ist mit Schabernack und Streiche...komm erzähl mal eine Anekdote, nur eine ganz winzige... ich beömm mich so gern!

 

Frank: Nun...über uns wohnten Spanier und eines Tages kamen wir auf den Trichter Zwieback-Kekse unter deren Fußmatte zu legen und machten Klingelmännchen.

Kurz darauf hörten wir es krachen und lachten uns kaputt.

Aber Frau Spanier fand das überhaupt nicht lustig und verlor völlig die Fassung und bölkte dermaßen aufgebracht durch's ganze Haus, dass mein Vater aus dem Schlaf gerissen wurde der wenige Stunden zuvor erst vom Taxifahren gekommen war.

Wir haben noch im Hausflur dafür eine scheußliche Tracht Prügel einstecken müssen...

 

Blinde Eule: Also das ist ja unerhört, Zwieback unter der Fußmatte...!

Und dann, wie war die Zeit als Teenager, Hip Hop, laute Musik, blaumachen, sich herumtreiben, Grenzen ausloten, Discotheken und falsche Kreise, sich gegen die guten Ratschläge der Eltern stemmen und zu rebellieren?

 

Frank : Klar, sicher will man in diesem Alter seine Grenzen ausloten und sehr oft trieb man es auf die Spitze um auszutesten inwiefern du dir was erlauben konntest und was nicht, das war nicht vor und nach meiner Zeit anders gewesen.

Laute Musik na klar, Bravo, Pop Rocky, Poster an der Wand und alles was Vater sagte ging in einem Ohr hinein und auf der anderen Seite wieder hinaus.

Diskotheken waren nie wirklich meine Welt, ich fühlte mich dort nie so richtig wohl und was falsche Kreise anbelangte, davon blieb ich noch verschont.

Bis zum 14. Lebensjahr war die Welt sozusagen noch in Ordnung, bis zu dem Tag als eine schlimme Veränderung unsere Familie aus heiterem Himmel traf, womit niemand hätte von uns jemals rechnen können.

 

 

Blinde Eule: Was passierte und inwiefern hat sich das auf dein und euer Familienleben ausgewirkt? 

 

Frank: Meine Mutter wurde von heute auf morgen unheilbar krank, das auf Lebenszeit ohne Hoffnung auf Heilung!

Der Tag gestern war nicht mehr der von heute, wir waren in diesem wichtigen Alter plötzlich aus dem Leben gerissen.

Der geregelte Tagesablauf den wir bis dahin gewohnt waren schmolz wie Eis in den Händen davon.

Mein Bruder war erst 12 1/2 und begriff die Welt nicht mehr. Mein Vater schleppte eine große Last und Kummer tagein, tagaus hinter sich her und meine Mutter konnte am wenigsten dafür, denn sie war in einer anderen Welt wo niemand sie finden und zurückholen konnte.

Das was uns Brüdern bevorstehen würde war geebnet, voraussehbar und auch zusehends unvermeidlich, auch wenn niemand aus unserer Familie daran glauben, geschweige denn es wahrhaben mochte.

 

Blinde Eule: Das war demnach ein schreckliches Schicksal, hört sich traurig an und man hofft immer auf ein gutes Ende?

 

Frank: Es hätte uns schlimmer, viel schlimmer treffen können...aber das weiß man halt erst nach vielen Jahren wenn man in sich geht und über das Vergangene nachdenkt.

 

Blinde Eule: Was besagt "16" ?

 

Frank: "16" ist ein Kapitel, es beschreibt den tiefsten Punkt in meinem Leben.

 

Blinde Eule: Möchtest du darüber reden und wenn was gibst du preis ?

 

Frank: Ich kann nicht reden, aber zum Glück ist mein Kopf, sind meine Hände befähigt und begabt darüber ausführlich zu schreiben. Das ist das was ich schon beim ersten Interview andeutete "Als wäre es gerade erst geschehen": Fenster, Türen, Fassaden, Gebäude, Straßen, Hausnummern.

Handlungen übel und schlecht. Abgrund und Fall, Veranlassung höherer Bemächtigter.

Tränen, Verzweiflung, Jammertal, Endstation Ausweglosigkeit...du sitzt am Tisch und schreibst über das Gestern. Du meinst du schriebest über das Gestrige, aber zwischen der Wirklichkeit von heute und der Vergangenheit liegen 36 Jahre.

Das geht aus dir nicht mehr raus, das ist die offene Wunde die sich nicht mehr schließen lässt.

 

Blinde Eule: Das hört sich nicht fröhlich an...bist du böse oder gar wütend auf irgendjemand Bestimmtes ? Was bewegt dich und geht dir nahe wenn du all das vor dir siehst?

 

Frank: Ja, Nein und Jain. Ich glaube an das Gute im Menschen heute, nicht damals. Ich trage die Hoffnung in mir das gewisse verantwortliche Personen Fehlentscheidungen welche sie trafen heute zumindest bedenklich und zweifelhaft anerkennen.

Aber es ist eine Genugtuung zu wissen, dass bestimmte Institutionen heute ein für alle Mal verschlossen und versiegelt sind...das macht mich wiederum glücklich und bestätigt mein Gedankengut.

Ich habe demnach großes Glück gehabt, der Grat auf dem ich wanderte war äußerst schmal, doch bin ich nicht gefallen, obwohl man eigentlich nichts anderes hätte erwarten dürfen.

War ich allein? Was ist aus den anderen Jugendlichen geworden?

Oft denkt man dran, doch ist es gesünder für die Seele nichts zu erfahren.

Mit dem was hinter mir liegt zurechtzukommen ist schon schwer genug.

Da ist die Furcht, die Angst vor der Tatsache, dass sich meine Befürchtungen bewahrheiten und wenn du einen Menschen nach mehr als dreißig Jahren wieder triffst, kann das unter Umständen gravierende Eindrücke hinterlassen.

 

Blinde Eule: Und doch musst du ja da wieder hinaus gekommen sein, wie hast du das geschafft?

 

Frank: Ich wurde 17 da wendete sich das Schicksal zum Guten in einem kleinen Örtchen im Hochsauerland...man hat glücklicherweise meine Hilferufe erhört und erkannt. Institution ist nicht gleich Institution...dort Hilflosigkeit und Untergang, hier das unbegreiflich Himmelhochjauchzende weil du nach all dem Chaos nicht checkst, dass das wirklich so sein kann.

Da ist die Panik, die Sorge morgen könnte alles vorbei sein und du wieder fort musst.

Ich war sehr sehr glücklich dort und das war so ungemein wichtig für mein Leben damals und noch viel mehr für heute, jetzt und hier.

 

 

Blinde Eule: Bist du dort geblieben, offensichtlich tat dir das Landleben besser als die Stadt ?

 

Frank: Alles lief ja darauf hinaus bzw. war das schon geregelt.

Doch wie das so ist mit 18, hast du jede Menge Flausen im Kopf...für die große Liebe verließ ich Hals über Kopf das Sauerland um zurück nach Essen zu ziehen.

Wenn ich dort geblieben wäre, hätte ich mir so einiges im weiteren Verlauf meines Lebens erspart...das Schicksal hat geleitet und du weißt nicht wofür das gut war.

 

 

Blinde Eule: Hast du jemals bereut das Sauerland verlassen zu haben?

 

Frank: Ich habe oft darüber nachgedacht, die Entscheidung damals war vielleicht falsch aber dennoch richtig. 

Das Sauerland ist ein Teil von mir, ich empfinde große Dankbarkeit und Liebe...die Menschen welche dort leben sind etwas ganz Besonderes für mich in meinem Herzen. Es ist Heimat, in mir schlagen drei Herzen und eines davon ist das Sauerland auf Lebenszeit.  

 

 

Blinde Eule: Stattdessen hast du welchen Weg eingeschlagen im Großstadt-Leben und was für Flausen haben dich getrieben?

 

Frank: Freunde, Kumpels...Dosenbier, Zeche Carl, Feten, Feiern bis spät in die Puppen ohne sich darüber den Kopf zu zerbrechen was am Morgen danach sein wird.

Ein Leben in Zaus und Braus, Träumereien irrsinniger Illusionen aber das war dieser Zeit dieser Tage völlig Ok.

Irgendwann reichte der Alkohol zum Berauschen nicht mehr aus und es zeichnete sich ab, dass die darauffolgenden Sachen zwangsläufig in eine bittere Tragödie enden mussten.

Diejenigen die von dem Teufelszeug verführt wurden und nicht widerstehen konnten, strebten und steigerten sich in immer höheren Sphären hinein.

Sie verlangten und gierten nach dem absoluten Wahnsinn und dem ultimativen Kick aller Gefühle.

Doch richteten sie sich durch diese Abhängigkeit systematisch zugrunde und wenn nicht damit dann unterschrieben sie ihr Todesurteil mit der Infizierung durch HIV.

Du würdest so gerne helfen mit aller menschlicher Kraft die in dir steckt, doch du bist machtlos und musst mit ansehen wie einer nach dem anderen mehr und mehr ins Verderben wankt und krepiert.

 

Der Sani sagt zu dir "Wir haben ihren Bruder vorerst zurückgeholt" du sitzt am Bett und hältst ihm die Hand und fragst ihn warum er so'n Scheiß machen würde, bist aller Hoffnung das alles wieder gut wird.

Doch die Worte welche ich meinem Bruder mitgeteilt hatte konnte er schon nicht mehr wahrnehmen.

Mich träfe keinerlei Schuld ist in meinen Augen keinerlei Trost...dennoch fühle ich mich in gewisser Hinsicht schuldig und mache mir Vorwürfe weil ich nicht rechtzeitig vor Ort war.

 

 

Blinde Eule: Oh man, das sind schreckliche Dinge und sie hören sich äußerst traurig an.

Wie hast du das alles überwunden und wie bist du dort hingekommen wo du heute stehst "Im Leben"...so wie dich die Menschen von heute nicht anders kennen? 

 

 

Frank: Das Leben geht weiter, irgendwie muss es das...doch Narben tun an bestimmten Tagen besonders weh, damit das Schlimme nicht in Vergessenheit gerät. Doch die Erinnerung, die Zuneigung und Liebe einem nahe stehenden Menschen gegenüber lässt mich hoffen darauf, dass es im nächsten Stadium nach dem Ableben ein Wiedersehen gibt und ich glaube daran, dass das so sein wird.

 

Am Ende bist du tausend Wege gegangen wovon 999 in die falsche Richtung und Sackgassen geführt haben. Nur einer davon führte in die richtige Umlaufbahn bis in die heutige Gegenwart.

Du bist geirrt, hast dich verrannt, verlaufen, verzettelt, immer und immer wieder...und dann erkennst du am Tag X das es nur noch wenige Chancen gibt nach dem letzten Streichholz zu greifen...der Beginn einer großen Veränderung für die ich tagtäglich dankbar bin.

 

 

Blinde Eule: Ich bedanke mich bei dir für diesen sehr intensiven kurzen Einblick zu deiner Vergangenheit und freue mich auf das nächste Treffen bald in wenigen Wochen.